PETER CADISCH
1960
Kindheit im Engadin und Bergell ( Silvaplana / Soglio).
Klarinettenstudium am Konservatorium für Musik in Bern
Kompositionsstudien bei Max Deutsch (Paris), Jacqueline Fontyn (Bruxelles), Umberto Rotondi (Milano).
Preisträger des internationalen Kompositionswettbewerbes in Perugia und des Wettbewerbes für professionelles Kulturschaffen des Kantons Graubünden. Von der Jury für die Konzerte des Tonkünstlerfestes 2005 in Kreuzlingen/Konstanz wurde mein Orchesterwerk "Frühling 1996" ausgewählt und Uraufgeführt.
Verschiedene Werkaufträge: Dedalo Ensemble (Brescia), Klibühni Schnidrzumft (Chur), Filmmusik für „Jesus goes to India“ von Kali und Roma Fasciati, Firma Wirz zum 50. "Forum Aktuell", Urs Walker zum 125. Geburtstag von Hermann Hesse (Landesmuseum Zürich), mehrere Rahmenveranstaltungen für die 450-jahr Feier der Reformation im Bergell, Tournee mit dem Projekt "I SALMI DI DAVIDE" durch Deutschland. Musikalisches Gewebe: Rahmenveranstaltung zur Stoff-Austellung "bling-bling" im Landesmuseum. Auftrag zum Mozartjahr vom "Orchestra della Svizzera italiana" u.a.
Seine Werke wurden interpretiert von: Ruth Weber (Sopran), Annamaria Morini (Flöte), Urs Walker (Violine), Walter Grimmer (Violoncello), Jean-Jacques Dünki (Klavier), Teodoro Anzellotti (Akkordeon), Streichquartett des Collegium Novum Zürich, Südwestdeutsche Philharmonie, Konstanz, Orchestra della Svizzera italiana, Casal Quartettu, .a.
Seit Jahren Vermittlungstätigkeit im Bereich der Zeitgenössischen Musik.
Veranstaltete mehrere pädagogische Projekte mit Jugendlichen und Erwachsenen. Workshops für Improvisation und Begleitveranstaltungen zur Vermittlung zeitgenössischer Kunst.
Mitglied des Schweizerischen Tonkünstlervereines, seit 2005 im Vorstand tätig.
Seit meiner Studienzeit unterrichte ich Klarinette und Saxophon. Zur Zeit bin ich Instrumentallehrer an der Jugendmusik in Chur und lebe als freischaffender Komponist in Soglio und Rüschlikon
Weiter Informationen unter www.petercadisch.ch
E-Mail-Interview mit Peter Cadisch
* Festival Interferenze 2019, Soglio
Pietro Maroni am 29. Juni 2019
1. Als erste Frage würde mich interessieren, was Dich als Komponist geprägt, was Dein musikalisches Denken geformt hat? Seien dies bestimmte Lehrer, Komponisten, Schulen, Stile, Techniken oder Denkweisen.
Peter Cadisch am 1. Juli 2019
Auf meiner Suche nach Vorbildern, nach Lehrern, Techniken, Stilen und Denkweisen, bin ich total gescheitert. Lange Jahre suchte ich und hätte mir nichts sehnlicher gewünscht als fündig zu werden. Leider wurde nichts daraus, und bewusst sage ich leider, denn ich wollte eigentlich nichts anderes als irgendwo, irgendwie, irgendwann dazuzugehören. Ich musste mir aber immer wieder eingestehen, dass das, was ich vorfand, nicht meinen Vorstellungen oder Ahnungen entsprach, von dem wie meine Musik klingen soll. So entschied ich, mich auf meine Vorstellungen einzulassen, auch wenn sie noch so weit entfernt waren von allem was ich kannte und Kanon war. Was ich dann von meinen Lehrern immer wieder hörte, von allen, ohne Ausnahme, war immer dasselbe: „So was kann man doch nicht machen“. Das passiert immer noch, nur heisst es heute: „Das ist doch keine Musik“. Dies auch von sogenannten namhaften Koryphäen. Zum Glück war ich immer, und bin es noch, auch mit Menschen zusammen, die sehr neugierig auf Neues waren und nach wie vor sind, und hatte immer das grosse Glück, Interpreten zu finden, die, so empfinde ich es immer noch, meine Musik zum Leben erwecken konnten. Es kann allerdings auch gut sein, dass die betreffenden Interpreten dies gar nicht so sahen. Dies hat mich, auch wenn es so gewesen wäre, sehr bestärkt, auf meinem Weg, den ich eingeschlagen habe, weiterzufahren, mich, meine Vorstellungen, mein Innerstes zu erarbeiten und in Form von Klang den Menschen zur Verfügung zu stellen. Ich auf jeden Fall bin von meiner Musik immer äusserst betroffen und dies ist etwas vom Wichtigsten und Schönsten was es gibt. Unschwer wird man so erkennen, dass die Odyssee, ein Vorbild zu finden, nicht nur gescheitert ist, sondern auch dazu geführt hat, dass ich mich von Allem zu befreien versuchte und musste, was ich auf diesem Weg zu mir genommen habe. Dieser Verdauungsprozess, wenn man ihn so nennen will, dauerte Jahre bis zur Ausscheidung. Es ist ein logischer Prozess, um zum eigenen Inneren zu finden. Nun könnte man sagen, dass ich mich ja hätte begnügen können mit dem was mir zugetragen, angeraten usw. wurde. Dies versuchte ich immer wieder, auch wenn ich immer wusste, dass es eigentlich nicht geht, denn jedes Mal, wenn ich es versuchte, mit allem was mir an Kraft zur Verfügung stand, so löste sich jegliche Kraft auf in nichts und es türmten sich Hindernisse auf, die ich nur überwinden und bewältigen konnte, indem ich zurück auf den Weg ging, der mir scheinbar verboten war zu verlassen, den ich aber auch immer wieder verlassen musste, damit ich zu mir fand. Dann tauchten natürlich immer Fragen auf: warum ist es mir nicht möglich einfach so zu sein wie alle und welche unüberwindbare Kraft hindert mich daran. So konnte ich zuletzt nichts anderes tun als zu meinem eigenen Lehrer zu werden und meinen Weg zu erforschen und diesen auf mich zu nehmen. Ist eine sehr religiöse Einstellung (Wikipedia: „Religion (…) von lateinisch religio ‚gewissenhafte Berücksichtigung, Sorgfalt’, zu lateinisch relegere ‚bedenken, achtgeben’ (…)“). Dies ist meine Einstellung der Arbeit und dem Leben gegenüber.
Pietro Maroni am 5. Juli 2019
2. Wobei, Du hast mir gegenüber mal erwähnt, dass Dich serielle Techniken stark geprägt haben oder dies nach wie vor tun; ist das korrekt?
3. Und was hast Du Dich selber lehren können, im Verlauf der vielen Jahre, der vielen Kompositionen, auf die Du mittlerweile zurückblicken kannst, respektive, wenn Du konkret drei Punkte benennen müsstest, was wären diese?
4. Du hast mir gegenüber einmal erwähnt, dass Ordnungsprinzipien für Deine Musik eine hohe Relevanz haben (z.B. die irrationalen Zahlen in der Komposition „Interferenza“). Wie hat sich das ergeben?
Peter Cadisch am 18. Juli 2019
Zu 2: Die Serialität ist in der Musik Alltag, es gibt keine Musik ohne Serialität, also der Reihung von Tönen, Dauern usw. Ich möchte ein paar Gedanken dazu von Donald W. Winnicott, ein praktizierender Kinderarzt und Analytiker erwähnen: „Um uns zu erinnern, denken wir uns allerlei verrückte Methoden aus, mit denen wir ins Unterbewusstsein hinabtauchen können. Zwischen dem einen Gedanken und dem nächsten besteht immer die eine oder andere Verbindung, sei es durch Logik, durch eine Ähnlichkeit von zwei Wörtern wie in Wortspielen oder irgendein anderes Bindeglied, welches das Bewusstsein zu einer ununterbrochenen Abfolge von Ereignissen macht.“
Von diesem Text, aus einem Brief, habe ich mich gleich angesprochen gefühlt, denn ich empfinde die Tätigkeit des Komponierens, eine fertige Komposition, wie das Spiel der Interpreten, als eine ununterbrochene Abfolge von Ereignissen, zwischen denen immer irgendein Bindeglied besteht. Wie Winnicott sagt: „Zwischen dem einen Gedanken und dem nächsten besteht immer die eine oder andere Verbindung, sei es durch Logik, durch eine Ähnlichkeit von zwei Wörtern wie in Wortspielen oder irgendein anderes Bindeglied, welches das Bewusstsein zu einer ununterbrochenen Abfolge von Ereignissen macht.“
Dies hat mich in der Musik sehr beschäftigt. Wie kommt eine Verbindung zustande, kann wirklich alles zueinander in Verbindung stehen? Dies ist eine wichtige Frage, denn wenn es egal ist, wer etwas Beliebiges aufeinanderreiht und was aufeinandergereiht wird, so könnte uns künstliche Intelligenz in Zukunft das Komponieren abnehmen. Nur, was macht Sinn? Worin liegt der Sinn, dass ich komponiere?
Ich möchte wissen und erfahren, wie sich bestimmte Abfolgen von Ereignissen in der Zeit verhalten und präsentieren und warum sich mir, je nach Komposition, bestimmte Abfolgen aufdrängen und andere sich abstossen. Ich möchte wissen, erfahren und von mir lernen, wie und warum ich bestimmte Entscheidungen treffe oder sich Entscheidungen aufdrängen. Ich möchte wissen, erfahren, lernen und versuchen zu intuieren, was das Beste ist für eine bestimmte Komposition. Diese vier Aspekte, das dauernde Arbeiten mit Wissen, Erfahrung, das Lernen und Intuieren geben mir und meiner Arbeit Sinn, bereichern mein Leben und erhöhen mein Körperliches und seelisches Wohlbefinden. Ich hoffe nun selbstverständlich, dass dies in meine Kompositionen einfliesst und vom Publikum wahrgenommen werden kann.
Eine Serie von Tönen kann jeder Computer beliebig und auch schneller als ich als Mensch in allen möglichen Kombinationen darstellen. Nur, macht dies Sinn?
Zu 3: Wenn ich drei Punkte zur Verfügung hätte, würde ich sagen: Selbstdisziplin, Selbstzweifel und Selbstvertrauen. Daraus entsteht dann der Selbstwert, der vielleicht auch dem Wert einer Komposition entspricht. Ein Spruch der Alchimisten hat mich immer fasziniert: „Alle Ding stehn nur in den dreyen / In vieren thun sie sich erfrewen“ (Quadratur des Kreises), aus: C.G. Jung, Psychologie und Alchemie, Traumsymbole des Individuationsprozesses.
Zu 4: Das Arbeiten mit Ordnungsprinzipien ist und war mir sehr wichtig, denn die Irrationalität ist eine so unendlich grosse Kraft, dass mir gar nichts anderes übrigblieb, wenn ich sie mir langsam erarbeiten wollte, als strenge Rationalität. Irrationalität ist immer und dauernd präsent und ein fast unüberwindbares Monster. So habe ich sie auf jeden Fall kennengelernt. Als eine Macht, der sich fast nichts in den Weg stellen kann als das rationale Denken und Handeln. Da Irrationalität nie einfach wegzudenken ist, begleitet sie auch jegliches rationale Arbeiten. Man kommt sich dann vor wie Sisyphus (Herausforderer der Götter), der den Stein den Berg hochtragen muss, obwohl er ihm immer wieder entgleitet und den Berg hinunterrollt, so dass er ihn ein weiteres Mal hochrollen muss. Was oft vergessen geht, oder nicht bewusst in die weitere Arbeit integriert wird, ist die Erfahrung, die man bei jedem weiteren Hinaufrollen macht. So ist es mit dem Komponieren, man beginnt zwar immer wieder von vorne, wie Sisyphus, den Stein den Berg hinauf zu rollen, aber das, was bleibt, ist die Erfahrung, und die nimmt man mit. Sie ist unendlich wertvoll und persönlich.
Pietro Maroni am 23. Juli 2019
5. Was mich auch noch interessieren würde, ist, ob es für Dich so eine Art Schlüsselwerk gibt, sei es ein eigenes oder fremdes (evtl. auch eines aus der Literatur, der Malerei oder einer anderen Disziplin)?
Peter Cadisch am 25. Juli 2019
Es gibt in meiner Erinnerung kein Schlüsselwerk, aber sehr viele wichtige Erfahrungen mit Werken verschiedenster Art. Meine erste Erfahrung mit neuer Musik, die mir noch immer im Gedächtnis haftet, geht auf meine Studienzeit in Bern zurück. Ich habe im Konzert (ich meine, dass es eine Aufführung im Casino Bern mit Räto Tschupp und der Camerata Zürich war) die Fünf Sätze Op. 5 von Anton Webern in der Fassung für Streichorchester gehört. Damals hat diese Musik in mir ein Feuerwerk gezündet und diese Erinnerung war so lebhaft, dass sie zu einem Referenzpunkt wurde - wohl verstanden, das Feuerwerk, das in meiner Erinnerung blieb. Immer wenn ich mich mit den Noten, der Technik, die angewendet wurde und dem Komponisten im Allgemeinen weiter beschäftigte, entstand eine unendlich grosse Leere, die ich so interpretierte, dass dies nicht mein Weg war für meine eigene kompositorische Arbeit. Ich musste meinen eigenen Weg finden. Diese Erfahrung wiederholte sich immer wieder. Ich konnte mich damals nicht ausdrücken, denn es fehlte mir das Wissen, das Handwerk und vor allem die Erfahrung mit der getanen Arbeit als Komponist. Somit war ich dauernd auf der Suche. Alles was ich vorfand war dann aber immer diesem Prozess der Auflösung unterworfen. Es war eine bodenlose Angelegenheit, der selbst meine eigenen Werke unterworfen waren. Mir kommt noch heute, wenn ich daran denke, Kohelet in den Sinn: „Ich beobachtete alle Taten, die unter der Sonne getan wurden. Das Ergebnis: Das ist alles Windhauch und Luftgespinst“. Wikipedia: „Kohelet (Kohelet abgekürzt Koh; hebräisch קֹהֶלֶת für „Versammler“) ist ein Buch des Tanach, das dort zu den Ketuvim („Schriften“) gehört. Im christlichen Alten Testament (AT) wird es zu den Büchern der Weisheit gezählt. In der Lutherbibel trägt das Buch den Titel Der Prediger Salomo. Kennzeichnend für diese biblische Schrift ist ihre Multiperspektivität. Einige Ausleger sehen Kohelet von einem tiefen Pessimismus und Skeptizismus geprägt. Andere dagegen verstehen ihn als einen Weisheitslehrer, der zu heiterer Gelassenheit angesichts der unbegreiflichen Wechselfälle des Lebens aufruft. Die Gesamtaussage des Buches muss im Zusammenhang mit Kohelets Absicht verstanden werden, eine sinnvolle Lebensführung zu finden. Er setzt sich mit der traditionellen Weisheit auseinander, insbesondere mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang: Dem Gerechten wird es gut ergehen, dem Frevler schlecht. Kohelet stellt fest, dass die Erfahrung oft das Gegenteil lehrt. Ausserdem kommt er zu der Erkenntnis, dass der Tod letztendlich jede Errungenschaft des Lebens auslösche. Daher empfiehlt er, das Gute im Leben als Gottes Gabe zu geniessen, da die Zukunft ungewiss sei. Kohelet ist das Buch des Alten Testaments mit den stärksten Affinitäten zur Philosophie.“
Heute sage ich, dass Komponieren ein Weg ist, der zu keinem Ende führt, auf dem man sich zwar an eigenen Erfahrungen orientieren kann und auf dem man Strategien entwickelt, damit man die Gnade ausdrücken kann in Kompositionen, aber der Weg ist unendlich und unergründlich.
Pietro Maroni am 29. Juli 2019
7. Wenn Du Deine Anfänge mit den Werken, die Du heute schreibst (z.B. „Interferenza“ für 16 Streicher, 2019) vergleichen würdest, was hat sich in Deinem Zugang, in Deiner Art zu komponieren wesentlich verändert? Mir sagtest Du einmal, dass Du nun eher wüsstest, wie Du beim Komponieren vorzugehen hättest.
8. Du hast seit den 90er Jahren einige Klanginstallationen realisiert. Was sind Deine wesentlichsten Erkenntnisse aus diesen Arbeiten? Etwa in Bezug auf Klangräume und Alltagsgeräusche, der „Musik des Alltags“? Würdest Du Deine Tageskomposition am 9. August 2019 in Soglio auch als eine Art Klanginstallation bezeichnen?
Peter Cadisch am 31. Juli 2019
Zu 7: Wenn ich zurückblicke, sehe ich heute, dass ich immer schon ähnliche oder sogar gleiche Arbeitsweisen gebraucht habe, die ich auch heute noch immer verwende. Nur, sie mussten über Jahre reifen und sich langsam herauskristallisieren. Zuerst schwimmt man im Meer der unendlichen Möglichkeiten. Ich musste vertrauen finden in die Arbeitsweisen. Dies dauerte Jahre. Ich musste mit ihnen arbeiten und sehen, ob sie einem die Arbeit erleichtern und auf einen Weg führen, der die einzelnen Kompositionen weiterbringt. Ich suchte nach Arbeitsweisen, die mir entsprechen und die offen sind für die unendliche Vielfalt an Verfahren und Strategien, denn jede Komposition ist ja eine einmalige Sache. Die Arbeitsweisen sollen einem somit ermöglichen, immer wieder neue Verfahren anzuwenden, die spezifisch einer neuen Komposition entsprechen können. Die Arbeitsweisen müssen auch die Möglichkeit in sich bergen, irrationale Aspekte aufzunehmen und einen selbst überraschen. Wie heisst es so schön bei Freud: „Der Mensch ist nicht Herr seiner selbst.“
Zu 8: Mich faszinierten schon immer Klangräume aller Art, seien es geschlossene, offene oder halb offene. Die Akustik bestimmter Räume hat in der Musikgeschichte dazu geführt, dass ganz bestimmte Kompositionen und Kompositionstechniken für diese speziellen Räume entstanden sind. Räume und Musik haben sich in unserer Kultur immer gegenseitig beeinflusst und befruchtet. Heute leiden wir unter der technischen Reproduzierbarkeit von Musik, die dazu führt, dass die elektronische Übertragung und Veränderung eines Klanges die Akustik aller Räume manipulieren kann. Man verändert z.B. die Wiedergabe und überträgt sie zeitgleich zur Livemusik über Lautsprecher, wie in der Tonhalle Maag und verweist darauf, dass es sowieso niemand merkt, oder simuliert digital eine bestimmte Raumakustik für Kopfhörer und Lautsprecher. Alles wird elektronisch aufgemischt, so dass wir uns längst daran gewöhnt haben. Nun, mich dünkt der Ort ist entscheidend. Wo findet etwas statt, in welchem Raum, in welcher Umgebung und wo bin ich mit meinem Gehör, an welchem Ort befinde ich mich. Durch diese Gedanken entstanden schon früh immer wieder Klanginstallationen. Sie sollten diese beschriebenen Aspekte von akustischem Raum, Bezug zum Raum, zur elektronischen Übertragung, z.B. in andere Räume usw., reflektieren. Die meisten Klanginstallationen sind elektronischer Art. Mit dem Klangkonzept im Dorf Soglio werden unterschiedliche akustische Räume, seien es geschlossene, halboffene oder offene, inszeniert, und damit auch ihre vielen Aspekte sowie die Distanz zur jeweiligen Klangquelle. In diesem Sinne ist es durchaus eine Klanginstallation. Auch in Hinblick auf das Publikum, das ja nicht an einem bestimmten Ort sein muss, es ist frei, den Ort selber als Klangereignis wahrzunehmen, mit all seinen täglichen Umgebungsgeräuschen (da kommt mir automatisch Cage in den Sinn, den ich sehr mag). Das Publikum ist also frei, sich auf die musikalischen Interventionen der Soli und Duos zu konzentrieren und bestimmte Orte aufzusuchen oder sich beliebig zu bewegen.
Pietro Maroni am 31. Juli 2019
9. Wo findest Du, steht die zeitgenössische klassische Musik momentan, ganz allgemein betrachtet? Und wo würdest Du Deine Musik verorten?
Peter Cadisch am 31. Juli 2019
Das Wunderbare an der heutigen Musik ist ihre Vielfalt und die fast unüberschaubar grosse Produktion weltweit. Leider hat sich die Seite des Konsumenten nicht im gleichen Ausmass entwickelt. Nach wie vor besteht der Alltag der Orchester und der Musiker aus dem Interpretieren von Werken aus der weiter zurückliegenden Vergangenheit. Ich möchte behaupten, dass die Musik des 20. Jahrhunderts und entsprechend auch des 21. Jahrhunderts noch nicht in der Gesellschaft angekommen ist, wenn man bedenkt, wie viel Musik jeden Tag die Gesellschaft konsumiert. Selbst wenn man die Gesellschaft auf Besucher der traditionellen Konzerte und Opern einschränkt, sieht es nicht viel besser aus. Ein Phänomen, das es in den anderen Künsten in diesem Ausmass nicht gibt. Im Gegenteil, da lechzt das Publikum nach Neuem, wie zu Zeiten Haydns in der Musik. Bin gespannt darauf, wann es in der „zeitgenössischen klassischen“ Musik so weit ist. Vielleicht müssen wir zuerst das Spartendenken in der Musik aufgeben und das „zeitgenössisch klassische“ als Prädikat, besser zu sein, abschaffen. Mit der Musik an und für sich, die heute geschrieben wird, hat dies meiner Ansicht nach nichts zu tun, die ist eben das, was sie ist, nicht mehr und nicht weniger und es besteht absolut keinen Unterschied zu Produktionen anderer Künste.
Mich verorten, ich weiss nicht wie ich dies könnte. Es wird wohl erst aus der Distanz möglich sein, wenn überhaupt. Ich kann von mir sagen, dass ich mich musikalisch und auch sonst, aus meiner Kultur ernähre in der ich lebe und arbeite. Ich fühle mich dieser Kultur und ihrer Vergangenheit verbunden und kann gar nicht anders als mit ihr meine eigenen Wege als Komponisten beschreiten. Was mich nicht interessiert, sind theoretische Einschränkungen, Ideologien, und jegliche Art von totalitärem Machtstreben. Mich interessiert die Vielfalt und der Respekt davor.