Erzählung
1.
Ich bin der Schultheiss – ich bin eine der zentralen Figuren in Jing Yangs neuer Oper Katharina. Das Libretto dazu haben Markus Kirchhofer und Maurizio Pinarello verfasst.
Ich regiere die Stadt Bern mit harter Hand, nach dem Vorbild eines absolutisti-scher Herrschers – eines Stadtkönigs. Aber hinter meiner Stärke und Härte - also hinter der autoritären Fassade brodelt in mir Unruhe und Angst. Den Stadtberner Einwohnern geht es immer schlechter - der Unmut in der Bevölkerung wächst. Am meisten macht mir die Kritik meines eigenen Bruders – des Schriftstellers Samuel Henzi zu schaffen – er fühlt sich wie ein kleiner Voltaire der Schweiz. Er opponiert gegen mich und die gesamte Berner Obrigkeit, die in den letzten Jahrzehnten ei-gentlich nur von einigen wenigen Familien gestellt wird. Wenn ich ehrlich bin, weiss ich, dass es zuweilen ein System ist, welches oligarchische, ja gar korrupte Züge trägt. Mein Bruder tritt ein für eine demokratische Öffnung und gehört damit zur aufklärerisch-reformistischen Bewegung des vorrevolutionären Europas – aber wer bin ich?

In meiner ersten Arie offenbare ich meine inneren Ängste, die ich eigentlich gar nicht zeigen möchte – den ich bin ja der Schultheiss. Ich bin die Stadt, ich habe die Macht – aber da ist noch mehr, da ist auch meine Unsicherheit, meine Angst zu Versagen, ein innerer Abgrund zeigt sich in mir…

Arie Ich aber bin der Jäger
2.
Ich hasse den Spott, das Getuschel über meine kinderlose Ehe. Ich bin damit nicht vollkommen – es fehlt etwas…. Da ist Katharina – ich liebe sie und wenn sie mir gehört, wird sie mir einen Erben schenken…
Das Volk soll sich auf dem Marktplatz versammeln – ich möchte den Menschen Ka-tharinas Schönheit, ihre Stimme und ihre Tugend zeigen. Dabei werde ich ihrem Vater, Malacrida das Ehrenstadtbürgerrecht verleihen für seine Verdienste. Das wird Katharinas Herz wohl erweichen.

Liebe Stadtberner – ich möchte euch meine Vorstellung einer idealen Gesellschaft zeigen:

Arie auf dem Marktplatz
Tja eigentlich ist die Vorstellung einer idealen Gesellschaft nur aus meinem inne-ren Schmerz und meiner unerfüllten Sehnsucht geboren – hat das Zukunft?

3.
In meiner Kindheit waren mein Bruder und ich uns innig zu getan. Doch Samuel begann, anders zu denken – ja auch anders zu sprechen. Er verweigerte sich der Sprache der oberen Schicht – der Macht. Ich habe ihn aus der Stadt verbannt, in der Hoffnung, er würde sich ändern – doch genau das Gegenteil ist eingetreten. Meines Bruders Worte werden gehört, verstanden, er hat Einfluss auf viele Men-schen. Und nun hat er auch noch Katharinas Liebe gewonnen.

Es ist eine Kränkung, um nicht zu sagen eine brennende Wut steigt in mir auf über diesen Verlust.

So kann es nicht weiter gehen – das hat keine Zukunft. Wir schreiben das Jahr 1749 – ich muss mich und meine Macht retten. Ich führe meinen Bruder vor Ge-richt – er soll wegen Hochverrats zum Tode verurteilt werden.

Arie Samuels Worte sind geschliffen